Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. (Teil: I)
(Von Dr. med. Herbert Scheiblich)
Religion und Spiritualität als Ressource.
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Veränderungen in der Kindererziehung
Seit den 1960er- Jahren hat sich die Haltung zur Kindererziehung stark gewandelt. Als Gegenbewegung zur harten Linie der sogenannten „schwarzen Pädagogik“, geprägt von körperlicher Züchtigung, Kränkungen, Schmähungen, Stigmatisierungen und Entwertungen, entstand eine ebenfalls einseitige Erziehungsmethode:
das Kind als kleiner, autonomer Erwachsener, dem kaum Grenzen gesetzt werden, der Überbewertung und Vergötterung erfährt. (Für mich persönlich ist der Gipfel der Verzärtelung ein Kinderfährrad mit E-Motor).
Es vollzog sich also ein Wandel: von der brutalen, verachtenden Dressur der „Lost Generation“ und Boomer-Generation“ hin zur Vorstellung einer kindlichen Persönlichkeit ohne Erziehung – sich selbst überlassen und zur Selbstorganisation verpflichtet.
Folgende Megatrends zeichnen sich ab
Schwerpunkt der kindlichen Entwicklung ist das Erlernen der Selbstorganisation. Das bedeutet: eigene Gefühle erkennen, benennen, angemessen verarbeiten und sozialverträglich in Gemeinschaft äußern zu können.
Dazu gehört auch, ein „Stopp“ der Umwelt zu akzeptieren, Frustrationen auszuhalten und das Prinzip der sofortigen Belohnung zurückzustellen. Viele Kinder von heute reagieren jedoch auf ein Nein der Eltern mit massiven Wutausbrüchen – Wut scheint zum dominanten Grundgefühl geworden zu sein.
Außerdem geht es um die ausreichende Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Dieser Prozess wird teilweise durch digitale Medien ersetzt. Kinder verlernen, mit Fantasie eigene Lösungen zu finden; ihre Eigenentwicklung wird durch die übermächtigen Bilder der sozialen Medien und durch Avatare in Computerspielen verdrängt. Reale Wirklichkeit weicht zunehmend einer virtuellen Realität. So ist beispielsweise ein Drittel der Studierenden nicht mehr in der Lage, einen einfachen Dreistatz zu berechnen – gleichzeitig wächst aber ihre Kompetenz, Apps zu entwickeln.
Die Verankerung in Geschichte und Kultur der eigenen Herkunft gehört nicht mehr zum Erfahrungshorizont. Mehrgenerationenfamilien und Geschwisterkonstellationen sind heute ein Glücksfall, doch meist ist der Einfluß von Großeltern und Geschwistern stark reduziert. Daduch entstehen Alltage und Lebensläufe, die kaum noch intentional organisiert sind; die innere Bildung zu diesen Bereichen bleibt schwach ausgeprägt. Ein extremes Beispiel dafür sind Kinderantworten auf Fragen wie:
„Woher kommt das Schnitzel?“ - „Aus dem Tierkühlfach von Aldi“ (Keine Produktwerbung, sondern Synonym für alle Discounter). Oder auf die Frage: „Welchen Beruf willst du einmal ergreifen?“ - Den meiner Eltern: Bürgergeldempfänger“.
Die transgenerativen Prozesse werden soziologisch unterbrochen – mit der Folge, daß sich ein „eindimensionaler Mensch“ entwickelt, wie Marcuse ihn bereits in den 1970er Jahren beschreibt.
Die Entwicklung des Selbst als Fundament des Ichs basiert heute nicht mehr auf verlässlichen Bindungserfahrungen zwischen flexibler Selbst- und Fremdwahrnehmung. Der respektvolle Umgang mit anderen fehlt zunehmend, stattdessen entwickeln sich überwiegend narzisstisch geprägte Persönlichkeiten.
Zugleich ist die Elterngeneration vielfach überfordert oder gar unfähig, ihren Kindern gute Bindungserfahrungen zu vermitteln – solche, die ein gesundes Selbstbewußtsein und einen stabilen Selbstwert fördern.
Verstärkt wird diese Entwicklung durch soziale Medien, die intensive Selbstdarstellung begünstigen. Der Erfolg eines Menschen mißt sich dort an den Follower- Zahlen und Likes: mehr Schein als Sein.
Ein zentralter Faktor ist die Vernachlässigung der angeborenen primären Religiösität bzw. Spiritualität bei Kindern und Jugendlichen. Das spielt eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung grundlegender sozialer Fähigkeiten wie Respekt und Höflichkeit. Die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme oder das Mittragen von Konsequenzen sind oft nur unzureichend, teils gar nicht ausgeprägt. Auch Leidensfähigkeit und Leistungsbereitschaft sind stark reduziert.
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