In diesem Blogbeitrag geht es heute um ein Thema, bei dem ich mich gefragt habe, ob es sich überhaupt lohnt, tiefergehende Überlegungen anzustellen – schlicht aus der Beobachtung heraus, dass es sich eigentlich nur um eine Randtheologie handelt. Es geht um eine sogenannte „Millennium-Drangsal Umkehr“, eine moderne Position im Rahmen der Eschatologie, die gelegentlich auf bekannten Social-Media Plattformen auftaucht.
In der Eschatologie besteht trotz der Unterschiede zwischen Prämillenarismus, Amillenarismus und Postmillenarismus eine Übereinstimmung: Wenn überhaupt folgt nach der Gnadenzeit die Drangsal, und erst danach tritt das Millennium ein. Bei der Millennium-Drangsal Umkehr wird diese Reihenfolge nun umgekehrt: Nach der Gnadenzeit folgt das Millennium, und erst danach kommt die Drangsal inklusive einer möglichen Entrückung; anschließend folgt gemäß dieser Ansicht das Gericht.
Auch wenn ich mich bemüht habe, aus allen Positionen und Blickwinkeln heraus biblisch eine „Millennium-Drangsal Umkehr“ abzuleiten, ist mir ehrlich gesagt dieses nicht gelungen. Den Gedankengang, der dieses Konzept vertritt, kann ich daher nicht wirklich nachvollziehen.
Dennoch scheint mir die theologische Logik hinter dieser Position erkennbare zu sein. Sie geht davon aus, dass aus der Gnadenzeit heraus – ähnlich wie im von mir vertretenen Postmillenarismus – die Zeit des großen Evangeliums und der Weltmission folgt. Die Hypothese dahinter lautet: Wenn die große Zeit des Evangeliums, die in der Bibel als Zeit X bezeichnet wird, sich ihrem Ende nähert, müsste dem zufolge gemäß Kausalität das Millennium folgen; erst, wenn Satan losgelassen wird, sollten Drangsal und Entrückung stattfinden, bis dann das Gericht folgt.
Die theologische Logik dieses Konzepts ist also durchaus vorhanden. Würde man es aus einer bundes-theologischen Perspektive betrachten, wäre dieses Modell theoretisch vereinbar; das Problem besteht jedoch darin, dass eine solche Sicht so nicht explizit in der Bibel verankert ist.
Schauen wir in die Bibel ...
Aus der Offenbarung 20 geht hervor, dass der Satan zu Beginn des Millenniums von einem Engel für tausend Jahre ins Totenreich befördert wird. Danach wird er nach den tausend Jahren für eine kurze Zeit wieder freigelassen (Apokalypse), worauf die Zeit der Gerichte folgt. Aus Markus 13 geht hervor, dass Jesus nach der Drangsal sichtbar aus dem Himmel wiederkommt. Und auch Daniel 12 wird häufig in diese Orientierung einbezogen. Auf den ersten Blick erkennt man also eine Reihenfolge: Zuerst die Drangsal, dann das Millennium – und das ist letztlich die etablierte Lehre.
Es gibt jedoch auch andere Positionen, wie zum Beispiel im Dispensationalismus, die behaupten, die Offenbarung sei nur für bestimmte Christen bestimmt und halte für andere Leser Dinge verborgen. Man müsse ein ausgereifter und wiedergeborener Christ sein und zu den auserwählten gehören, um die Offenbarung zu verstehen.
Hinzu kommt die Auffassung einiger Theologen, die sagen, man könne die Offenbarung nur richtig lesen, wenn man die chiasmatische Struktur berücksichtigt und sie von einem Dreieck her lese. In der Tat besitzt die Offenbarung eine chiastische Struktur, was sich leicht erkennen läßt, aus der sich Zusammenhänge erschließen, die einem Leser, der mit Vers 1 beginnt, oft verborgen bleiben. Daher sprichwörtlich im Dreieck lesen. (aus der Mittel Spitze zu den auseinander liegenden Enden lesen)
Aber egal wie, das es die Möglichkeit von einer „Millennium-Drangsal Umkehr“ gibt, steht einfach nicht in der Bibel, zumindest nicht direkt.
Ableiten könnte man eine „Millennium-Drangsal Umkehr“ eventuell dann, wenn man die sieben Jährige Drangsal als bereits abgelaufen verstehen würde. Hierzu sei auf die 70 Jahrwochen verwiesen (Daniel 9)
Grundkonzept: Die 70 Wochen (Daniel 9,24-27)
- 70 Wochen = 490 Jahre.
- 7 Wochen = 49 Jahre
- 62 Wochen = 434 Jahre
- Die letzte Woche = 7 Jahre
Ausgangspunkt der Zeitrechnung ist der Erlass zur Wiederaufbau Jerusalems (und des Tempels) – mit dem Edikt von Artaxerxes I. verbunden, der 457 v. Chr. ausgestellt wurde.
Die ersten 69 Wochen (7 + 62 Wochen)
Erste Woche (7 Wochen = 49 Jahre): Aufbau Jerusalems und des Tempels. Mit dem Zeitraum der Wiederaufbauarbeiten unter Nehemia/Esra zuzuordnen; der Beginn wird üblicherweise mit dem Edikt von 457 v. Chr. verknüpft.
Die nächsten 62 Wochen (434 Jahre): Von der Vollendung dieses Wiederaufbaus bis zum Auftreten des Messias, des “Fürsten” . Theologisch setzt man hier den Zeitraum bis zum Auftreten Jesu (Jesus Lehramt) um das Jahr 30–33 n. Chr. an. Danach: Jesus wird am Kreuz getötet (Daniel 9:26-27)
Die prophezeite Zerstörung der Stadt und des Tempels. Jerusalem und der Tempel werden durch die Römer unter Titus im Jahr 70 n. Chr. zerstört. Diese Zerstörung bezieht sich auf Daniel 9:27 (und 11-12).
Der Text in Daniel 9:27 spricht von einem Bündnis/Vertrag, der “für eine Woche” gegeben wird, und in der Mitte dieser Woche (nach 3,5 Jahren) wird der Opferdienst gestört bzw. beendet. Danach folgen weitere Verleumdungen und Unheil bis zum Ende der Woche.
Um es vereinfacht zu sagen: Es geht um die theologischen Fragen, ob die in der preteristischen Sicht als vergangenes Erfüllungsereignis zu interpretieren ist – was ich als Postmillenialist anerkenne – oder ob sich noch ein zukünftiges Ereignis zeigt, wie es in der futuristischen bzw. dispensationalistischen Sicht vorliegt. Dabei sollte man bedenken, dass der Dispensationalismus in Daniel 9 einen plötzlichen Zeitsprung macht und weitere Verschachtelungen vornimmt, um eine noch kommende Drangsal ableitbar zu machen. (pessimistische Sicht) Die Bundestheologie hingegen (optimistische Sicht) deutet Daniel 9 so, wie es im Text steht: zusammenhängend und nicht getrennt.
Wenn also, wie der Postmillenarismus annimmt, die Drangsal bereits vergangen ist, würden sich die Deutungsparameter ändern. Dann würde Jesus in Markus 13 sowie Offenbarung 20 nicht die sieben Jahre der Drangsal beschreiben, aufgeteilt in zwei Zeitabschnitte à 3,5 Jahre, sondern die tatsächliche Endzeit. Unser Herr Jesus würde – so der Postmillenarismus – nach dem Millennium zurückkehren. Dieses Millennium wäre demnach ein geistiges, aus dem Himmel herab bestimmtes Herrschaftsreich, das die Früchte der großen Zeit des Evangeliums sichtbar macht (vgl. Matthäus 24,14; Offenbarung 14,6–7).
Der gegenwärtige Zustand würde demnach als Gnadenzeit verstanden, die die Zeit des großen Evangeliums und der Weltmission umfasst und zugleich Vorwehen der Endzeit enthält – wenngleich nicht bedrohlich, da der Satan noch gebunden ist bis zum Ende des Millenniums und der Entrückung.
Aus der preteristischen Sicht ließe sich mit gewisser Progressivität eine Umkehr der Millennium-Drangsal ableiten, wenn man die Drangsal Synonym gleichgesetzt mit Endzeit und Gericht interpretiert.
Offenbarung 7,14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind’s, die aus der großen Trübsal kommen und haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes.
Kein Hinweis und Bezug darauf, ob diese Trübsal vor oder nach dem Millennium verstanden wird.
Daniel 12,1-2 Zu jener Zeit wird Michael auftreten, der große Engelfürst, der für dein Volk einsteht. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seitdem es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen. Und viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.
Die Verse beziehen sich also auf die Endzeit nach dem Millennium, da die in der Erde schlafenden ja erst dann auferstehen, nicht vorher.
Matthäus 24,21 Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird.
Auch hier spricht Jesus von der Endzeit, nicht von einer Zeit vor dem Millennium.
Es fällt auf, dass Jesus selbst nie das Tausendjährige Reich mit seiner physischen Gegenwart erwähnt hat. Er spricht vielmehr vom Reich Gottes (zum Beispiel Mt 4,17; Mt 6,10; Mt 13,36 ff.; Mk 1,15; Lk 17,20–21). Die Vorstellung eines konkreten Millennium wird erst in der Offenbarung entwickelt und taucht dort auf.
Offenbarung 20,4 schildert Throne im Himmel, nicht auf Erden. Hier werden die Seelen der Enthaupteten zum Gericht bestimmt; sie gehören zur ersten Auferstehung innerhalb des Millenniums. Erst danach beginnt demnach die eigentliche Endzeit. Wenn man die chiastische Struktur der Offenbarung berücksichtigt, zeigt sich der Bezug zum Kontext in Offenbarung 3,21, wobei auch hier theologische Uneinigkeit herrscht.
WICHTIG: An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen und meine Verantwortung wahrnehmen: Man sollte mit diesen Konzepten vernünftig umgehen und keineswegs absolute Aussagen treffen. Alle diese Modelle dienen dazu, einen möglichen Ablauf der Endzeit zu skizzieren, ohne Absolutheit zu beanspruchen. Denn selbst mit den verschiedensten Konzepten kann eine Systemlogik entstehen, die sich in die biblisch angedeuteten Abläufe integrieren lässt. Die Bibel läßt dies zu und ist auch von Gott offensichtlich so gewollt, der uns diese Maturation auferlegt hat.
Besonders beim Thema der Millennium-Drangsal Umkehr sollte geprüft werden, ob nicht der Teufel, Widersacher am Werk ist: Er stiftet Verwirrung, verdreht gesunde Lehren und stellt sie als gesund dar. Daher ist äußerste Vorsicht geboten, insbesondere wenn man philosophisch und theologisch noch unsicher ist.
Persönlich halte ich eine Millennium-Drangsal Umkehr eher für unwahrscheinlich. Es sei denn, man identifiziert die Drangsal Definition mit der tatsächlichen Endzeit und favorisiert eine präteristische Sicht; dann wäre im Kontext der Kausalität eine Millennium-Drangsal Umkehr möglich – jedoch nicht in einer futuristischen Sichtweise, die davon ausgeht das die 2 x 3,5 Jahre noch bevorstehen. Trotzdem aber als optimistische, missionsbetonte Endzeitsicht aber theologisch durchaus diskussionsfreudig.
Abschließend lässt sich die Frage beantworten, welche Vorteile es hätte, wenn diese Millennium-Drangsal Umkehr eintreten würde. Die Antwort ist einfach: Keine! Es gäbe weder Vorteile noch Nachteile. Die endzeitlichen Abläufe haben nichts mit der Erlösung zu tun und bringen lediglich erweiterte Erkenntnisse mit sich sowie eine Dynamik, die den Glauben lebendig hält und greifbarer macht – Eine progressive, präteristisch-postmillennialistische Konstruktion im theologischen Diskurs, nicht mehr, nicht weniger. Das sollte man stets im Hinterkopf behalten.
LG.
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